28.10.2005 Interview: "high wycombe - retoure"    black, Ausgabe 41 (Germany)
 
   

Könnt Ihr unseren Lesern Euer Projekt HIGH WYCOMBE bitte einmal kurz vorstellen bzw. den bisherigen Werdegang darstellen?

Martin: Wir kennen uns bereits seit der Grundschule und begannen ca. 1996 mit ersten musikalischen Experimenten, angefangen bei Coverversionen von Depeche Mode bis hin zu abstrakten Industrial-Klangcollagen. Auf dem 1988 erschienenen ersten Album “reverse the verdict“ und dem 1999 folgenden 2. Album „impulse!“ finden sich Songs wieder, die sich teilweise sehr stark in ihren elektronischen Stilrichtungen voneinander unterscheiden. Ein Jahr später folgte das aus lizenzrechtlichen Gründen nie veröffentlichte 3. Album “code 74“. Dem aktuellen 4. Album “retoure“ ging eine längere Schaffenspause meinerseits voraus. In dieser Zeit startete Christian sein Projekt “concise“, um dann Anfang 2003 erste neue Songideen für High Wycombe zu erarbeiten.

Euer Projektname ist auch der Name einer Stadt in England - hatte das etwas mit der Namensgebung zu tun?

Christian: In erster Linie suchten wir einen gut klingenden Namen. Dass es sich bei High Wycombe um eine englische Stadt handelt, die in einem Buch über die deutsche Seekriegsflotte des 2.Weltkrieges erwähnt wurde, passte ganz gut, da wir als Rostocker auch leicht „maritim angehaucht“ sind. ;-) Bewusst unterstreichen wir den Bezug durch unser Labellogo und der bisher gewählten CD-Covergestaltung von high wycombe.

HIGH WYCOMBE stehen in meinen Augen bzw. Ohren stark in der Tradition von HAUJOBB, welche ab Mitte der 90er Jahre Electro mit modernen Sounds gekreuzt haben und dafür zwar viel Anerkennung, aber leider nie den Durchbruch in der Szene erlangt haben. War HAUJOBB für Euch wirklich ein Einfluß und wenn ja, wie und warum?

M: Für uns war und ist Haujobb ein großer Einfluß. Auch wenn es zuvor Bands wie Front242, Frontline Assembly und Skinny Puppy waren, begeistern uns bei Haujobb vor allem die Liebe zum Detail und die Sorte analoger Sounds, die dieses Projekt unseres Erachtens unverwechselbar machen. Den größten Einfuß hatte dabei zweifellos das Album "solutions for a small planet".

Neben HIGH WYCOME und diversesten Nebenprojekten betreibt Ihr in Rostock die Labelplattform Wycombe Music - welchen Stellenwert nimmt das Label in Eurer Region ein und wie läuft dieses bzw. trägt es sich selbst?

C: Der Grundgedanke für die Labelgründung von Wycombe Music war das Projekt high wycombe einem größeren Hörerkreis zugänglich zu machen. Als Newcomer sieht es ziemlich düster aus, sofern man in Eigeninitiative an die Medien herantritt. Mit unserer Samplerproduktion „chipyard“ und diversen Remixbeiträgen wollten wir dann auch anderen Künstlern die Möglichkeit bieten, für Sie neben unseren eigenen Projekten ebenfalls als „Sprungbrett“ zu agieren. Dies funktionierte z.B. bei Framework, Cue to Recall und Liquid Divine. Da wir das Label nebenberuflich betreiben und uns nicht die Mittel der Großen zur Verfügung stehen, wird Wycombe Music vermutlich ein Nischenprodukt für innovative elektronische Music bleiben.


Ist das ein Zufall oder Absicht, daß das Logo von Wycombe Music an das Denkmal der revolutionären Matrosen in Rostock erinnert und wenn ja, was wollt Ihr damit ausdrücken?

C: Das Motiv der „revolutionären Matrosen“ mit seiner dynamischen Ausdruckskraft symbolisiert für uns, neben der Funktion als Denkmal für den Matrosenaufstand von 1918, ebenso das permanente  Vorwärtsstreben der Menschheit. Genau das sollte auch unsere Musik verkörpern.  
M: Als wir uns in Rostock zwecks Photoshooting auf den Weg machten, waren Dank meiner “Pünktlichkeit“ die Lichtverhältnisse entsprechend so miserabel, dass die später entwickelten Aufnahmen des Denkmals lediglich die Silhouette der Matrosen umhüllt von einer blauen kreisförmigen Aura zeigten. Dies als Logo zu nehmen, stand dann für uns sofort fest.

Eure EPCD "Code 74" aus dem Jahre 2000 durfte auf Grund massiver Sprachsamples aus dem Film "Matrix" nicht veröffentlicht werden - was waren die genaueren Hintergründe dafür?

C: Zunächst einmal hatten wir Lust, trotz der Ungewissheit die Samples nutzen zu dürfen, dieses Vorhaben aufgrund des genialen Films und der Story umzusetzen. Kurz bevor “Code 74“ ins Presswerk gehen sollte, wendeten wir uns an den Rechteinhaber Warner Bros., der uns nach zuvor geführten Telefonaten leider die Sampleverwendung schriftlich untersagte. Sicherlich war dies zu erwarten, aber in der Hoffnung, dass das musikalische Endprodukt vielleicht doch überzeugen könne, wollten wir es auf den Versuch ankommen lassen. Leider vergebens.

Euer aktuelles Album "Retoure" ist ein intelligent-grooviger Brocken Sound, der völlig untypisch für die derzeitige Electro-Szene in
Deutschland ist - zählt Ihr Euch dieser Szene überhaupt zugehörig bzw. wie ist Eure Meinung über die derzeitige Lage dort?

M: Wir wünschen uns, dass in den Clubs neben dem “Standardprogramm“ mehr innovative, vom klassischen electro-EBM abweichende Songs gespielt werden. Einerseits mögen wir nach wie vor Klassiker von Front242, Nitzer Ebb, Laibach, FLA, Skinny Puppy oder neueres Material im klassischen Stil, wie z.B. einige Sachen von Hocico und anderen. Bedauerlich ist dabei allerdings, dass selbst von Bands wie FLA und Skinny Puppy gerade die innovativeren, vom Gewohnten abweichenden Alben von der Szene nicht so gut angenommen und aus unserer Sicht viel zu selten gespielt werden. Oft haben wir in den Clubs den Eindruck, die Zeit sei stehengeblieben. Zudem erweisen sich einige neue Projekte als schlichte Kopie früherer Bands und lassen das Alleinstellungsmerkmal und die entsprechende Eigenständigkeit vermissen.  


Ein qualitativ absolut ebenbürtiges Nebenprojekt von HIGH WYCOMBE ist CONCISE, welches mit "Pure" ein betörendes Album vorgelegt hat und besonders durch die Stimme (und Optik) der professionellen Sängerin KATRIN SEGERT besticht - wie kam dieses Projekt zu Stande, wie sind darauf die Resonanzen und welchen Stellenwert gegenüber HIGH WYCOMBE genießt dieses?

C: Ursprünglich war concise ein reines Soloprojekt und beinhaltete lediglich die Songs, die sich stilistisch nicht in die high wycombe Schublade einordnen ließen. Und das Ganze bis zu dem Zeitpunkt als Katrin zwecks Gesangsaufnahmen an uns herantrat und wir ihrem Song „aim“ spontan ein neues Gewand verpassten. Seither erarbeiten wir mit frischem Rückenwind gemeinsam neue Songideen mit der Unterstützung von Gitarristen und Schlagzeuger. concise wird künftig zwar primär elektronisch bleiben, sich jedoch vom Studioprojekt zur „richtigen“ Band entwickeln und das bedarf Zeit und nimmt uns momentan auch sehr in Anspruch. Das bisherige Feedback war erstaunlich positiv, wobei jedoch die Zielgruppe eine andere als die von high wycombe ist.

Wie ist es eigentlich um die Szene in Eurer Heimatstadt Rostock bestellt und welche Projekte könnt Ihr da empfehlen?

M: Rostock hat sich in der jüngsten Zeit diesbezüglich recht ansehnlich entwickelt. Wir denken da z.B an Michael Senfts Projekt “Hioctan“ oder an S.K.E.T.T, die mit ihrem jüngsten Industrial-Album intelligenter Machart sehr positive Resonanz erfahren. Nach langer Pause arbeiten auch Framework derzeit an neuem Material. Wir sind davon überzeugt, dass man von Rostocker Projekten in naher Zukunft bestimmt noch einiges mehr zu hören bekommt.

Wie fast überall im Osten unserer Republik ist es auch in Rostock nicht so gut um Arbeitsplätze bestellt und in einem Interview mit HIOCTAN habe ich gelesen, das dieser jetzt aus beruflichen Gründen seine Heimat verlassen muß - welche Bindung habt Ihr an Rostock und könntet Ihr Euch ebenfalls so einen einschneidenden Schritt vorstellen?

C: Für mich wurde dieser Fall bereits 2003 Realität. Da sich Wycombe Music als Label grad mal selbst trägt, musste ich nach Beendigung des Studiums dorthin, wo Arbeit anfiel. Umso mehr freut man sich natürlich, Freunde und Bekannte auf den entsprechenden Rostocker Parties wiederzutreffen. Dass das musikalische Netzwerk trotzdem gut funktioniert, zeigen u.a. die Remixbeiträge von patt (Andreas von s.k.e.t.t) oder x_dynamics auf der retoure-cd.

M: Gerade aus beruflichen Gründen wird dies bei mir sicherlich Anfang/Mitte 2006 zum Thema werden und dann hat der Beruf gegenüber dem Hobby natürlich Vorrang. Aber auch dann sehe ich Möglichkeiten, trotz evtl. örtlicher Trennung, an gemeinsamen Projekten arbeiten zu können.
Bei der Erstellung neuer Songs arbeiteten wir nicht gleichzeitig daran. Entweder entstehen Songs im Alleingang oder wir tauschen das Material bis zur Fertigstellung untereinander aus. In Zeiten von Breitbandinternet könnten wir diese Arbeitsweise trotz örtlicher Trennung vielleicht aufrechterhalten.

Und da wir gerade beim Thema sind - HIGH WYCOMBE nehmen regelmäßig am Warnemünder Drachenbootrennen teil - was ist das für eine Veranstaltung?

C: Der Drachenbootsport gewinnt von Jahr zu Jahr mehr Anhänger und das deutschlandweit. In Warnemünde findet dieses Jahr das 10. Drachenbootfestival statt mit 78 Mannschaften am Start und wir sind jetzt das 5.Mal mit den Wycombe Stylers dabei. Neben den Bandmitgliedern diverser Projekte sitzt ein großer Teil unseres Freundeskreises mit im Boot. Teamgeist und ein kleiner Promotionnebeneffekt sind hierbei unsere Hauptmotivatoren.

Wie sehen Eure weiteren Pläne mit HIGH WYCOMBE, CONCISE und Wycombe Music aus?

C: An erster Stelle stehen geplante Live-Auftritte mit Concise zum Ende des Jahres. Seit Beginn 2005 laufen bereits die Proben zusammen mit befreundeten Livemusikern für Schlagzeug, Bass und Gitarre.

M: Befreit von meinem Studiumsstress steht für High Wycombe im Juli/August der Dreh eines Musikvideos bevor, sowie die Umsetzung erster Vorbereitungen und Tests für Live-Auftritte.

Ein BLACK-Standart ist die Frage nach Euren derzeitigen musikalischen Favoriten bzw. All-Time-Top 5?

M: (Alben)
Skinny Puppy – The greater wrong of the right
Haujobb – Solutions for a small planet
I am X – Kiss and swallow
Frontline Assembly – Flavour of the weak
Alles von Nitzer Ebb und Front 242

C: (Songs)
nitzer ebb - lightning man
mentallo & the fixer - false prophets
haujobb - the cage complex
beefcake – drei – Titel 5
mighty math - quark sparking
 

 
    Ich danke high wycombe für dieses Interview und wünsche für die Zukunft alles Gute.
...Marco Fiebag
 
 



latest news >